Brief von BADIL an Bundesrat Cassis als Antwort auf seine Stellungnahme zur UNRWA und zu den palästinensischen Flüchtlingen

25.05.2018

Categories: BDS-Argumente, Palästinensische Flüchtlinge

Bundesrat Ignazio Cassis, Vorsteher des schweizerischen Aussendepartements, erklärte am Donnerstag, 17. Mai 2018 in einem Zeitungsinterview, das UN-Hilfswerk für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sei ein Hindernis für den Frieden im Nahen Osten, da es die Integration palästinensischer Flüchtlinge in ihren Aufnahmeländern aktiv behindere. Cassis behauptete, das Fortbestehen von Flüchtlingslagern, insbesondere in Jordanien und im Libanon, halte einen „Traum der Rückkehr“ für die dort lebenden Palästinenser_innen aufrecht. Er fügte an, die Finanzierung der UNRWA durch die internationale Gemeinschaft trage dazu bei, den Konflikt am Leben zu erhalten. Er sagte: „[Die UNRWA] funktionierte lange als Lösung, ist aber heute zu einem Teil des Problems geworden. Sie liefert die Munition, den Konflikt weiterzuführen. Denn solange Palästinenser_innen in Flüchtlingslagern leben, wollen sie in ihre Heimat zurück. Indem wir UNRWA unterstützen, halten wir den Konflikt am Leben.“

Stattdessen schlug Cassis vor, die bisher an die UNRWA bezahlten Hilfsgelder den Aufnahmeländer zur Verfügung zu stellen, um die Integration der palästinensischen Flüchtlinge zu fördern. Dies wäre eine Politik, die nicht nur die Rechtsstaatlichkeit missachtet, sondern auch die Position des israelischen Premierministers unterstützt, der im vergangenen Monat die Auflösung der UNRWA forderte.

BADIL betont, dass das Haupthindernis für die Lösung der palästinensischen Flüchtlingsfrage darin besteht, dass Israel seit 1948 die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat verweigert. Ein weiteres zentrales Hindernis ist die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen, die in zahlreichen seit 1948 verabschiedeten UN-Resolutionen eingefordert wurde, nicht gerecht wird. Palästinensische Flüchtlinge können nicht in ihre Heimat zurückkehren und wurden gewaltsam in die Nachbarländer verbannt. Diese Flüchtlinge „träumen“ nicht von einer Rückkehr, sie haben ein Recht darauf. Ihr Rückkehrrecht wurde in Resolution 194 der UN-Generalversammlung von 1948 festgelegt und wird regelmässig von der UN-Generalversammlung und anderen internationalen Gremien bestätigt.

Die Arbeit der UNRWA für die palästinensischen Flüchtlinge ist nicht für den gegenwärtigen Konflikt verantwortlich; vielmehr liegt die Verantwortung bei der israelischen Politik, die den palästinensischen Flüchtlingen entgegen dem Völkerrecht das Recht auf Rückkehr in ihre Heimat verweigert. Und solange sie vertrieben bleiben, haben palästinensische Flüchtlinge ein Recht auf humanitäre Hilfe. Das UNRWA wurde 1950 gegründet, um den palästinensischen Flüchtlingen zu helfen; das Hilfswerk wurde nie damit beauftragt, nach politischen Lösungen für den Konflikt zu suchen. Die zur Erfüllung dieser Aufgabe eingerichtete UNO-Agentur, die United Nations Conciliation Commission for Palestine (UNCCP), ist seit den 1950er Jahren inaktiv. Es existiert seitdem keine Organisation mit internationalem Mandat, die nach einer dauerhaften Lösung für die palästinensischen Flüchtlinge sucht.

Mit dem Vorwurf an die UNRWA, den Konflikt am Leben zu erhalten, wird die eigentliche Ursache des Problems ignoriert und die zentrale Rolle Israels dabei missachtet. Die Umschichtung von UNRWA-Mitteln in die Aufnahmeländer mit dem Ziel, die Integration palästinensischer Flüchtlinge zu fördern, ist keine Strategie zur Verbesserung des Wohlergehens dieser Flüchtlinge oder zur Beendigung des Konflikts, sondern ein Schritt, der darauf abzielt, die palästinensische Flüchtlingsfrage unter den Tisch zu wischen. Diese Strategie ist eng mit der Zerstörung der UNRWA verbunden, die ständig daran erinnert, dass es der internationalen Gemeinschaft nicht gelungen ist, eine tragfähige Lösung für die grösste und seit längstem vertriebene Bevölkerungsgruppe der Welt zu finden. Die rund 7,5 Millionen palästinensische Flüchtlinge machen heute zwei Drittel der gesamten palästinensischen Bevölkerung aus. Die meisten leben auch heute noch immer weniger als 100 Kilometer von ihren Heimatorten entfernt.

Cassis' Aussage, dass „es unrealistisch ist, dass dieser Traum [der Rückkehr] sich für alle erfüllt“, stellt sowohl eine völlige Missachtung des palästinensischen Rückkehrrechts dar, indem sie es als Traum und nicht als international anerkanntes Recht bezeichnet. Damit wird auch implizit die Weigerung Israels akzeptiert, dieses Recht anzuerkennen. Die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat kann als "unrealistisch" angesehen werden, weil der israelische Staat für seine illegalen Handlungen völlig ungestraft bleibt und seine anhaltende Verweigerungshaltung ohne Konsequenzen bleibt. Es geht nicht um Raum, Geographie oder Logistik, sondern um Politik: die mangelnde Bereitschaft Israels und der internationalen Gemeinschaft, die Rechte der palästinensischen Flüchtlinge anzuerkennen und in die Tat umzusetzen.

Zum Abschluss dieses Schreibens erinnern wir die internationale Gemeinschaft, einschliesslich der Schweiz, an ihre Verpflichtung, Schutz zu gewähren und nach dauerhaften Lösungen für die palästinensischen Flüchtlinge zu suchen. Wir erinnern die internationale Gemeinschaft auch daran, dass das Recht auf Wiedergutmachung, einschliesslich der Rückkehr, von palästinensischen Flüchtlingen ein international anerkanntes Recht ist und dass Israels Verweigerung der Rückkehr nicht nur illegal ist, sondern angesichts der mangelnden Rechenschaftspflicht weitere Vertreibungen fördert. Wenn es der Schweiz und anderen Ländern wirklich darum geht, die palästinensische Flüchtlingsfrage und den daraus resultierenden Konflikt im Nahen Osten zu beenden, sollten sie damit beginnen, das Völkerrecht zu achten, die Verwirklichung der Grundrechte aller Beteiligten, auch der palästinensischen Flüchtlinge, sicherzustellen und die anhaltenden Verletzungen dieser Rechte zu beenden.

 

Originalbrief von BADIL
Übersetzung: BDS Schweiz

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